Hà Nội…
Deine Straßen sind wuselig und voller Leben, deine Märkte quirlig und deine Hupkonzerte ohrenbetäubend.
Dein Verkehr flößt vielen Touristen so viel Furcht ein, dass es ihnen den Angstschweiß kalt das Gesicht hinunterlaufen lässt.
Deine Menschen können durch ihre ungewöhnliche Ehrlichkeit manchmal etwas rau und fast unfreundlich wirken.
Und doch begegnete ich nie herzlicheren Menschen als in dir, Hà Nội.
Hà Nội…
Als Stadt bist du so dynamisch, das einem eine Woche Abwesenheit vorkommt, als hätte man ein ganzes Jahr verpasst.
Du bist eine Stadt, in der Arm und Reich eng zusammen leben und doch weit voneinander getrennt sind.
Eine Stadt, voll mit Träumen und Wünschen. Dein Flair zwingt jeden, der sich hier länger aufhält, seinen Träumen nachzugehen.
Hà Nội…du Herz Vietnams.
Du bist viel mehr als nur eine Stadt für mich.
Du bist Teil von mir und hast jetzt schon einen festen Platz in meinem Herzen gewonnen.
Warum ich so über Hà Nội empfinde?
Mit dieser Freundschaftserklärung an Hà Nội möchte ich dich ein Stück in die Stadt mitnehmen, die ich nun mein Zuhause nenne.
Seit September 2014 lebe ich nun schon in Hà Nội.
Unglaublich wie schnell die Zeit vergeht.
Geplant war nur ein Aufenthalt von 6 Monaten. Danach sollte es wieder nach Deutschland gehen, zurück ins Studium. Aus den 6 wurden 12 Monate.
Doch gehen? Gehen kann ich im Moment einfach nicht. Zu vieles ist hier, dass ich noch sehen möchte. Zu vieles, das mich hier hält. Und so vieles, das ich noch nicht verstehe…
In kaum einer Stadt habe ich bislang so viele Menschen auf der Straße getroffen, die mein Leben jeden Tag bereichern.
Dabei kenne ich die meisten gar nicht…
Die Menschen Hà Nội’s
Unter den Vietnamesen gelten die Menschen der Hauptstadt als etwas zurückhaltender, nicht ganz so offen wie im Süden.
Auch spielen traditionelle Werte hier eine größere Rolle, sagt man.
Die Einheit der Familie und die spirituellen Elemente des Lebens schimmern trotz des schnellen Lebens des Kapitalismus immer wieder durch. Vom Kommunismus spüre ich nebenbei nur wenig…
Es sind vor allem die Momente mit den Bewohner Hà Nội‘s, die mich diese Stadt so lieben lassen.
Wenn ich beim Laden nebenan eine Kleinigkeit kaufe, ist immer ein wenig Smalltalk damit verbunden.
„Geht’s dir gut, Minh?“ „Hast du schon zu Mittag gegessen?“ fragt man mich oft. Stehen Fremde dabei, läuft die Begegnung nicht selten ohne ein halb im Scherz gemeintes Angebot, eine ihrer Töchter heiraten können.
Sollte Tee oder Schnaps in der Nähe sein, darf ich mich nicht zu lange dort aufhalten. Ansonsten wird schnell eine Einladung ausgesprochen. Da kommt man nur schwer wieder raus, ohne unhöflich zu erscheinen.
Was mich aber am meisten in den Bann zieht, sind die kleinen Momente, in denen ich ein herzliches Lächeln bekomme. Nicht nur irgendein Lächeln, sondern die Sorte, die dein Herz erwärmt und deinen Tag zum Besten überhaupt macht.
Es kann die Marktverkäuferin sein, an der ich gerade nur vorbeifahre. Ein kleines Kind, das sich scheinbar darüber freut, dich zu sehen. Ein flüchtiger Blick reicht oft und schon lächelt jemand.
Das Essen, ein Traum der nie zu Ende geht
Als ich noch in Deutschland wohnte, fand ich vieles von dem, was man so essen konnte langweilig. Irgendwie fehlte da immer was.
Das soll jetzt nicht heißen, dass deutsches Essen schlecht ist. Ist es nicht…nur manchmal ein wenig fade im Vergleich zum vietnamesischen.
Ich esse viel Streetfood und habe mittlerweile meine „Stammläden“. Eigentlich sind’s ja nur kleine Gassen oder Bürgersteige mit Plastikhockern.
Aber das Essen ist wie von Großmuttern. Zubereitet mit ganz vielen leckeren Zutaten und einem Aroma, dass viele deiner Geschmacksnerven gleichzeitig anspricht. Ganz besonders jedoch: Alles wird von Hand gemacht, mit viel Liebe zum Detail.
Du bekommst hier auch standardisiertes Essen aus der Fabrik. Aber Fertiggerichte und eine Küche, in der nur Convenience Food zubereitet wird, gibt es hier selten. Ob das Bành Mì an der nächsten Ecke, leckeres Bánh Đa bei meiner Lieblingsomi oder einfach nur Cơm – alles schmeckt und ist preiswert.
Nur das Rätsel um die schlanke Figur der meisten Vietnamesen konnte ich dabei noch nicht lösen. Zu verlockend waren die Speisen bislang.
10 Monate. Das meiste ist doch alltäglich oder?
Von wegen.
Hà Nội ist ungefähr so wie der Verkehr in dieser Stadt – unberechenbar.
Jeden Moment kann eine neue Überraschung auf dich warten. Jemand erzählt dir von einer Kunstausstellung oder einem Underground-Club und ehe du dich versiehst, lernst du eine völlig neue Seite der Hauptstadt kennen.
Manchmal reicht schon der Blick in eine neue Nebenstraße und du entdeckst Dinge, von denen du nicht einmal erwartest hättest, dass es sie hier überhaupt gibt.
Und, obwohl ich hier bereits meinen Alltag gefunden habe, vergeht kaum ein Tag an dem ich nichts dazu lerne.
Natürlich verbessere ich auch mein Vietnamesisch, aber das meine ich gar nicht. Ich meine vor allem die vielen kleinen Facetten des Lebens hier. Hier und da erlerne ich immer wieder weitere Teile der Umgangsformen und verstehe mehr Zusammenhänge, als am Tag zuvor.
So setzt sich Stück für Stück eine Art Puzzle zusammen. Das Gesamtbild? Mehr von den Menschen hier verstehen; mich ihnen näher fühlen.
Ob ich das irgendwann erreiche?
Vielleicht, vielleicht auch nicht. Für besonders wahrscheinlich halte ich es nicht, immerhin verstehe ich auch „die Deutschen“ nicht immer.
Eine Stadt mit Ecken und Kanten
Doch ist Hà Nội jetzt die Traumstadt für jedermann?
Keinesfalls. Die Stadt hat mehr Ecken und Kanten als manchem vielleicht angenehm ist.
Die vielen Motorräder und Autos verschmutzen die Luft. Du kannst es spüren, wenn du mitten in der Rush-Hour auf der Straße unterwegs bist.
Die Menschen sind manchmal auch zu ehrlich, so dass es einem fast hart und rau vorkommt. Damit muss man klarkommen.
Die Bewohner Hà Nội’s machen auch nicht alles so, wie man es im ersten Moment erwarten würde. Flexibilität im Denken und Handeln ist eine Eigenschaft, die du hier brauchst.
Und dann sind da noch ganz oberflächliche Dinge. Ich kann das Wasser aus dem Wasserhahn nicht trinken und habe kaum Bäume um mich herum.
Große Grünflächen sieht man außerhalb der Parkanlagen auch nicht allzu häufig.
Hà Nội – eine Herausforderung, der ich mich weiter stellen möchte.
Vielleicht sind es gerade die schwierigen Seiten, die mich hier halten. Ich mag Herausforderungen.
Hà Nội fordert mich manchmal sehr heraus und doch ist das Leben hier sehr einfach und unkompliziert.
Diese Stadt bietet mir Spielraum, mich und meine Persönlichkeit frei zu entfalten. Ich kam praktisch als unbeschriebenes Blatt, herausgerissen aus dem Buch der europäischen Kultur.
Nun habe ich die Gelegenheit, dieses leere Blatt neu zu beschreiben. Es bleibt ein europäisches Blatt, einfach mein Ich, aber geschrieben wird nun auf Vietnamesisch.
Die Geschichten die dabei entstehen, gefallen sicher nicht jedem. Ich jedoch, ich lebe davon mich ständig neu zu erfinden.
Hà Nội mit seiner Vielseitigkeit und seinen widersprüchlichen Eigenschaften sorgt dafür, dass ich mich bestens entwickeln kann.
Und dafür danke ich dir, Hà Nội. Dir und deinen Menschen. Dafür, dass du mir jeden Tag etwas Neues beibringst. Mich an dir reiben lässt und mich dazu zwingst, immer wieder über meinen Schatten zu springen.
Danke, Hà Nội.
In tiefer Freundschaft, dein Etienne
Wie geht’s dir mit deiner Stadt? Lebst du in deiner Heimatstadt oder hast du deine andere Stadt zu deiner Heimat gemacht?
Berührender, intensiver Artikel mit eigener literarischer Note. Dein bisher bester.
Weiter so, lieber Eti.
Danke dir, liebe Claudia
Ich werde mir Mühe geben, auf dem Niveau zu bleiben, auch wenn das vielleicht nicht immer klappen wird. Es hat auch Spaß gemacht, diesen Beitrag zu schreiben.
Da hat sich jemand offenbar ganz schön in Ha Noi verliebt.
Dein Artikel macht neugierig und nachdenklich.
„Bin ich wirklich so offen gegenüber anderen Kulturen, wie ich von mir selbst annehme?“
Deine Auseinandersetzung mit der vietnamesischen Kultur in dem Artikel zeigt mir, dass Du dich sehr weit auf diese Kultur versuchst einzulassen und macht Spaß beim Lesen.
Ein „Liebesgedicht“ am Anfang der Beschreibung einer Stadt ist ungewohnt aber lockt und hat mir sehr gut gefallen.
Liebe Grüße aus Buxtehude
Thomas
Hey Thomas,
schön, dass dir mein Artikel gefällt und er etwas mit dir macht. Offenheit für Kulturen ist glaube ich etwas, dass wir erst in der wirklichen Auseinandersetzung lernen. Jedenfalls war das eine Erkenntnis, die ich in Vietnam bisher gemacht habe.
Ich habe mich sehr über deinen Kommentar gefreut
Liebe Grüße aus Hanoi,
Etienne
Ich kann Etienne da nur zustimmen. Ich freue mich schon wieder wie ein Kleinkind auf Vietnam und Hanoi. Wenn meine Frau das ihren Freunden erzählt, so glaubt ihr das keiner. Scheinbar meinen so gut wie alle „das sagt der doch nur weil er mit dir verheiratet ist“. Diese Aussage kommt übrigens nur von Vietnamesen, da kann so gut wie niemand glauben das man Vietnam der westlichen Welt vorzieht.
Aber so ist es nun mal, man möchte eben das, was man nicht hat.
Das kann ich mir gut vorstellen, also sowohl deine Vorfreude als auch die Ungläubigkeit der Bekannten deiner Frau.
Ich habe auch schon oft Unverständnis dafür bekommen, dass ich so gerne hier bleiben möchte. Aber es stimmt wohl, man möchte immer das, was man nicht hat 😀
Danke, das du in deinem Artikel so gut ausgedrückt, hast wie ich über VIETNAM denke.
Danke dir, für dein schönes Feedback 😉
Freut mich, dass du genauso denkst
Hey Etienne, dass ist eine wunderschöne Hommage an Hanoi!
Asien war ja bisher nie so wirklich unser Reiseziel. Aber wenn Du noch ein paar so inspirierende Artikel schreibst könnte sich das aber bald ändern
Hey Franky,
vielen Dank für deinen lieben Kommentar. Ich werde mir sehr gern Mühe geben, euch weiter zu inspirieren 😉
LG Etienne
Sehr schön geschrieben!!
Ich war noch nie da, und hatte es auch eher weiter hinten auf meiner Bucket-List aber scheint wirklich eine interessante Stadt zu sein. Also muss ich wohl doch früher hin, als gedacht Liebe Grüße!!
Danke dir, Sabrina
Schön, dass ich den Platz Hanois ein wenig aufbessern konnte. Ich denke, es ist es wert 😉
Liebe Grüße,
Etienne
Ich holfe jeden Ort liebst du wird einen Ort für dich wie Hanoi
Danke Thuy
Vielleicht nicht jeden so wie Hanoi. Aber wer weiß, vielleicht gehe ich mittlerweile anders auf Städte zu
LG Etienne
Ein wirklich berührender Artikel und eine so schöne Freundschaftserklärung an die Stadt. Vieles davon erinnert mich an Accra, deshalb musste ich bei einigen Stellen wirklich schmunzeln. Gerade auch den Aspekt, dass es oft die schwierigen Seiten sind, die einen fordern und dennoch dort halten, kann ich gut nachvollziehen.
Liebe Grüße,
Wibke
Hallo Wibke,
vielen Dank für deinen schönen Kommentar
Liebe Grüße aus Hanoi,
Etienne
Hallo Etienne,
Danke, dass Du Einblicke in diese für mich doch recht fremde Welt gewährst – und ich bewundere, wie bei jedem Auswanderer, Deinen Mut für diesen Schritt! Obwohl in meiner Familie auch einige bereits ausgewandert sind und teilweise auch im neuen Land sehr erfolgreich waren, fehlt da doch der Mut in mir, diesen Schritt auch zu wagen – obwohl ich oft davon träume ….
Bis dahin bleibt es bei diversen Reisen und Urlauben, meistens mit unseren drei Kindern. Aber ich habe mir zum Vorsatz gemacht, ihnen irgendwann die ganze Welt zu zeigen, oder zumindest möglichst viel davon 😉
Liebe Grüße aus dem nass-kalten Deutschland
Elly
von elly-unterwegs.de
Hallo Elly,
vielen Dank für deinen lieben Kommentar. Es freut mich, dass ich dir einen kleinen Einblick geben konnte.
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich es vor der Auswanderung auch für eine große Sache gehalten habe. Das „sichere“ Deutschland aufzugeben war, obwohl ich es immer wollte, ein großer Schritt. Jetzt, etwa 2 Monate nach der offziellen Auswanderung und bereits 14 Monate in Vietnam, kommt es mir gar nicht mehr so besonders vor. Ich bin ohnehin viel internationaler geworden, fast staatenlos, jedenfalls vom Gefühl her. Ein paar offzielle Dinge sind in Deutschland geblieben, mein Business wird entweder in Hong Kong oder Estland aufgebaut werden und mein Geld werde ich wohl überall, vor allem aber in Vietnam und Deutschland verdienen.
Vietnam nimmt einem auch dieses vermeintliche Sicherheitsgefühl, allerdings auf eine gesunde Art und Weise, wie ich finde. Ich werde selbstbewusster, verlasse mich mehr auf mich und meine Fähigkeiten (zum Beispiel im Straßenverkehr) anstatt auf Regeln und Gesetze. Wenn du in Deutschland in eine Auseinandersetzung wärest, könntest du dich in hohem Maße auf das Recht verlassen. Hier in Vietnam, versuchst du lieber jeder Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Gar nicht unbedingt wegen der Korruption, sondern eher weil spätestens dann einfach starker Patriotismus bei den Vietnamesen einsetzt, bei dem man als Westler eh keine Chance hätte.
Kurzum: Ich habe das Gefühl daran zu wachsen, jeden Tag. Dafür war es allemal wert diesen Schritt zu gehen und die vermeintliche Sicherheit in Deutschland hinter mir zu lassen. Ich kann den nur den Rat geben, es einfach zu machen. Es gibt nicht viel zu verlieren. Aber natürlich ist deine Entscheidung wegen der Kinder sicherlich etwas komplizierter. Wenn die allerdings auch wollen, dann würde ich es machen 😉
Liebe Grüße aus dem (noch) sonnigen Hanoi,
Etienne